Deutschlanddurchquerung von Ost nach West – von Görlitz nach Schengen

Etappe 5: Marburg – Lahnstein

von Berthold Kutschera

 

Am Pfingstsamstag erreichte ich vormittags mit dem Zug gegen 10 Uhr Marburg. Ihren Namen verdankt die Stadt dem alten Wort „Marc“, was soviel wie Grenze bedeutete. Denn früher verlief hier die Grenze zwischen dem Gebiet der Landgrafen von Thüringen und dem der Erzbischöfe von Mainz. Vom Bahnhof begab ich mich sofort in die Altstadt zur Elisabethenkirche.

Erstaunt war ich über die Anwesenheit einiger Polizeiautos neben der Kirche. Eine Besichtigung war zunächst anlässlich des Jubiläumsgottesdienstes einer Studentenburschenschaft nicht möglich. Vielleicht war dies auch der Grund für die Polizeipräsenz. Der freundliche Kirchenführer, offensichtlich bemerkte er meine fragenden Blicke, meinte, dass der Gottesdienst noch zirka 20 Minuten dauern würde. Ich umrundete daraufhin die Kirche und nutzte dabei die Gelegenheit, wegen der bevorstehenden Pfingstfeiertage, mir noch einige Vollkornbrötchen bei einem Bäckerstand auf dem Markt hinter der Kirche zu kaufen. Bald bemerkte ich, dass die Gäste des Gottesdienstes sowie die Studenten in ihren bunten Verbindungsuniformen, sich zu einem Gruppenbild vor der Kirche aufstellten, was für mich bedeutete, eine Besichtigung des Kircheninneren war jetzt möglich. Nach dem Erhalt der Eintrittskarte, die mich berechtigte auch den Raum hinter dem Lettner, einer steinernen Schranke, die das Priester- oder Mönchskollegium vom übrigen Kirchenvolk trennte, zu besichtigen, betrat ich den Chorraum.

Die Elisabethenkirche wird als frühester rein gotischer Kirchenbau in Deutschland angesehen. Als Auftraggeber für ihren Bau gilt der Deutsche Orden. Er ließ diese Kirche auf Betreiben von Landgraf Konrad, dem Schwager Elisabeths, über dem Grabmal der Hl. Elisabeth errichten, weshalb Marburg im ausgehenden Mittelalter zu einem der bedeutendsten europäischen Wallfahrtsorte aufstieg. Auch heute verläuft ein Zweig des europäischen Jakobspilgernetzes, der Lahncamino, durch Marburg. Sehenswert sind der Elisabethchor, die verschiedenen Flügelaltäre sowie die alten, bunten Glasfenster mit ihrem figürlichen und ornamentalen Schmuck. Beim Verlassen der Elisabethenkirche bewunderte ich ebenfalls noch einmal das Hauptportal, die sogenannte „Himmelspforte“. Man sieht Maria als Himmelskönigin mit dem Kind Christus als Weltenherrscher sowie viele Vögel in Weinreben und rechts von ihr Rosen. Die Weinreben weisen in der mittelalterlichen Symbolik auf Jesu, die Rosen auf Maria hin.

Mit den zahlreichen Touristen ließ ich mich durch die Altstadt mit ihren sehenswerten Fachwerk-häusern zum Rathaus treiben. Kurzzeitig hörte ich den interessanten Erklärungen einer Stadtführerin zu. Dabei erfuhr ich auch, wie es zu der Redewendung „Der ist aber steinreich kam“. In ihren geschickten Ausführungen erklärte sie, dass früher die armen Leute nur mit dem billigeren Holzmaterial ihre Häuser bauen konnten, während die reicheren Bürger in der Lage waren, ihre Wohnhäuser aus den zugehauenen und damit wesentlich teuerem Stein erbauen ließen. Vom Marktplatz erklomm ich den schweißtreibenden Weg zum Marburger Landgrafenschloss, das 289 m ü. NN liegt. In einem Teil des Schlosses kann man das sehenswerte Universitätsmuseum für Kulturgeschichte besichtigen. Ich folgte dem „L“-Wanderzeichen durch den Schlosspark weiter nach Westen, ging am Friedhof vorbei und bog dann später auf einem alten Höhenweg, der ehemaligen Weinstraße von Frankfurt nach Bremen, ein.

Durch die Trockenlegung der Talauen, dem Bau neuer Straßen und die aufkommende Eisenbahn verlor diese alte Handelsstraße an Bedeutung. Auf einer Informationstafel heißt es, dass „die Weinstraße auf einer Landschaftsscheide verläuft, die das westlich liegende kuppenreiche Grundgebirge (Rheinisches Schiefergebirge) von den mächtigen Sandsteinschichten des östlichen Deckengebirges trennt. Die Hessische Senke und ein junger Vulkanismus bewirkten eine abwechslungsreiche Gliederung.“ Auf dem alten Handelsweg ging es weiter zur früheren Tannenbergkaserne. Das „L“-Wanderzeichen verschwindet plötzlich in der ehemaligen Kaserne, aber man kann getrost dem „Roten Viereck“-Zeichen (Strumpfweg) folgen. Beim Spiel- und Grillplatz findet man das gewohnte „L“-Wanderzeichen wieder. Durch Wald hindurch, über Felder und Wiesen, Senken und Hügel erreichte ich abends Oberwalgern. Im Dorfgemeinschaftshaus, froh darüber, dass es nicht geschlossen war, nahm ich das Abendessen ein und musste die schmerzliche Niederlage des FC Bayern München im Finale der Championsleague mit ansehen.

Am nächsten Morgen ging es am Oberwalgerner Fußballplatz vorbei in den Wald. Über Salzböden und den Altenberg gelangte ich am frühen Vormittag in die Gemeinde Wettenberg im Gleiberger Land. Dort hatte ich bei schönstem Sonnenschein eine grandiose Aussicht auf die beiden Basaltkegel des Gleibergs und des Vetzbergs, die in Luftlinie nur einen Kilometer voneinander entfernt sind. Um mit Schiller zu sagen: „Nichts Schöneres gibt es, als der Sonne Lichter zu schauen!“

Die Landschaft erinnerte mich an die Toskana, wenn man die Basaltkegel mit den Burgruinen und die Häuser, die sich die Bergkegel nach oben schmiegen, sieht. Von der Ruine Gleiburg, einem der wichtigsten Burgen vor tausend Jahren, war die Fernsicht am Pfingstsonntag bei blauem Himmel nach allen Seiten gestochen scharf. Die Biergärten, der in der Burg befindlichen Gastronomiebetriebe, waren gut besucht. Kein Wunder bei diesem Bilderbuchwetter! Weiter über Vetzberg ins Tal der Bieber lief ich am Hof Schmitte, einer ehemaligen Waldschmiede, vorbei und stieg in den Wald hinauf. Nach geraumer Zeit gelangt man zu einer kleinen Schutzhütte und erblickt in deren Nähe ein sogenanntes Frauenkreuz.

 

Was es damit auf sich hat, erklärt eine Informationstafel des Heimatvereins Rodheim-Bieber. „Zu Nassau-Weilburg lebte einst Graf Otto mit seiner Gemahlin Jutta. Lästerzungen bezichtigten diese der Untreue, und der Graf lieh den Verleumdeten sein Ohr. Nach dem Besuch bei einem befreundeten Nachbar im oberen Lahntal ritten Graf und Gemahlin heimwärts durch die Wälder. Hier an der Gemarkungsgrenze, hielt der Graf seiner Gemahlin die Untreue vor. Jutta war in ihrer Unschuld sprachlos vor Schreck. Der argwöhnische Graf sah aber in dem Schweigen den Beweis ihrer Schuld. Zornentbrannt zog er das Schwert und stieß seiner Gemahlin den Stahl ins Herz.

Juttas Unschuld wurde offenkundig. Reue und Trauer bewegten das Herz des Grafen und er pflanzte das heilige Zeichen des Kreuzes an der Stelle, wo seine Gemahlin ihr Leben aushauchte. Dann pilgerte Graf Otto zum heiligen Grabe und entsagte der Welt.

Spätere Geschlechter mögen das Kreuz durch ein aus Stein gemeißeltes Kreuz ersetzt haben, um allen nachfolgenden Generationen Kund von jener schrecklichen Tat zu geben. Wanderer kommst du an dieses Steinkreuz, so verweile hier in stillem Gedenken, was böses Nachreden bewirken kann. Aber richte nicht, denn wir sind als Menschen alle geboren, um Schulden zu rächen nicht auserkoren.“

 

Bald kam ich zu einem weiteren geschichtlichen Ort, dem Königstuhl, wie der Himberg im Volksmund heißt. Nach A. Deubel wird der Königstuhl als eine südliche Vorburg des spätkeltischen Oppidums Dünsberg angesehen. Anderer Meinung ist Prof. E. L. Nebel, der den Königstuhl als eine einstige germanische Gerichtsstätte (Thingstätte) ansieht.

Durch schönen Buchenwald führte der Lahnhöhenweg mich bis in die Nähe von Blasbach, wo ich den Tag ausklingen ließ.

 

Rechtzeitig machte ich mich am Pfingstmontag auf den Weg, so dass ich morgens gegen acht Uhr, durch die Lahnauen laufend, die ehemalige Reichsstadt Wetzlar erreichte. Als erstes lief ich zum Dom, dem Wahrzeichen Wetzlars. Die Bezeichnung Dom ist allerdings etwas irreführend, da Wetzlar kein Bischofssitz ist. Zurückzuführen ist der Name Dom auf die Zeit des Reichskammergerichts, als der Trierer Erzbischof gleichzeitig der Stiftspropst war. Der Dombau wurde 1230 begonnen, aber bis zum heutigen Tage nicht zu Ende gebaut. Außerdem kann man unterschiedliche Baustile wie Romanik, Gotik und Barock erkennen. Beeindruckend sind die Portale mit ihrem zahlreichen figürlichen Schmuck. Während der Reformationszeit bekannten sich viele Bürger von Wetzlar zum lutherischen Glauben. Deshalb teilte man sich nicht nur die Kirche, sondern benutzte auch den gleichen Altar, d. h. jede Konfession darf ihren Gottesdienst im Dom feiern.

Auf meinem Streifzug durch die Altstadt Wetzlars kam ich auch zum Schillerplatz an dem das Jerusalemhaus steht. In diesem Haus erschoss sich, sehr wahrscheinlich aus Liebeskummer, Karl-Wilhelm Jerusalem. Dessen Schicksal verarbeitete der junge Goethe, der ein Praktikum am Reichskammergericht absolvierte, in seinem Roman „Die Leiden des jungen Werther“. Dabei flossen auch autobiographische Züge in seinen Jugendroman mit ein, denn er war unsterblich in Charlotte Buff, der Tochter eines Deutschordensamtmannes verliebt. In dem renovierten Fachwerkbau ist die Goethe-Werther-Sammlung zu besichtigen. Schräg gegenüber befindet sich die um 1300 entstandene gotische Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters.

 

Ein weiteres außergewöhnliches Baudenkmal ist die siebenbogige, 104 m lange im 13. Jahrhundert erbaute alte Lahnbrücke. Wetzlar verlässt man durch das Kalsmunttor, ein Relikt der Stadtbefestigung, welches in der Nähe der Leitzwerke ist. Über die Burgruine Kalsmunt, ich blieb jetzt auf der Taunusseite des Lahn-Höhenweges, den Stoppelberg mit Aussichtsturm, leider geschlossen, ging es abwärts Richtung Honigmühle. Dabei musste ich über viele entwurzelte Bäume klettern oder die Windbruchstellen weiträumig umgehen. In der Nähe der Dickesmühle findet man auf einer Informationstafel den Hinweis auf die Theutbirg-Basilika von Nauborn. Darauf ist zu lesen, dass Pfarrer Karl Schieferstein in einem alten Vermögensregister des Kloster Lorschs herausfand, dass eine Basilika in der Gemarkung Nivora (Nauborn) verzeichnet ist. Um das Jahr 778 soll eine Frau Theutbirg diese Kirche dem Kloster vermacht haben. Bei Ausgrabungen stieß man tatsächlich auf die Grundmauern einer Kirche mit dazugehörigem Friedhof.

 

Am frühen Abend marschierte ich in Braunfels ein. Eine Besichtigung des Schlosses, das sich seit 800 Jahren im Familienbesitz befindet, blieb mir verwehrt, da ich einfach zu spät dran war. Dies wurmte mich schon mächtig, denn gerne hätte ich die ausgestellten sakralen Kunstwerke, den Ring der Hl. Elisabeth sowie die Gemälde niederländischer Meister und der hessischen Malerfamilie Tischbein angeschaut.

So blieb mir nichts anderes übrig als die Fachwerkhäuser am Marktplatz, Auf der Schütt, den Solmser Hof und das untere Burgtor zu besichtigen. Nachdem ich mein Ziel nicht rechtzeitig erreichte, war ich natürlich gefrustet und ließ es mir gerade deshalb im italienischen Restaurant am Marktplatz kulinarisch gut gehen. Das Essen war ausgezeichnet, allerdings entsprechend hoch war auch die Zeche.

Gegen 21 Uhr verließ ich Braunfels und wanderte noch bis Hirschhausen. Die unverwechselbare Silhouette des Schlosses mit seinen vielen Türmen und Erkern, die Fürst Georg nach 1880 durch die Umbaumaßnahmen im Stil des Historismus bewirkte, war rückblickend schon sehr beeindruckend.

 

 

Am nächsten Morgen erreichte ich etwas später als vorgesehen Weilburg. Der Grund waren heftige Kopfschmerzen. Warum ich sie bekam, war mir ein Rätsel. Sie zwangen mich jedoch dazu, nach einer guten Stunde Marsch, eine längere Ruhepause einzulegen, so dass ich erst gegen 10 Uhr, am Jagdschloss Windhof vorbei, in Weilburg ankam. Wenn man den Berg hinunter, an der Heilig-Grab-Kapelle vorbei, in die Senke läuft, fällt einem sofort das Barockschloss auf. Dass hier ein Schloss gebaut wurde, war der strategischen Lage des Berges zu verdanken, der zu dreiviertel von der Lahn umflossen wird.

Die heutige Gestalt der Residenz geht auf die Baumaßnahmen von Julius Ludwig Rothweil von 1702 bis 1721 zurück, der den Auftrag dazu von Graf Johann Ernst erhielt. In der Schlosskirche befindet sich unter dem Altar die Fürstengruft mit über 30 nassauischen und luxemburgischen Herrschern. Das Besondere der Fürstengruft ist, dass sie ausländisches Hoheitsgebiet ist, denn territorial gehört sie nicht zur Bundesrepublik Deutschland, sondern zum Großherzogtum Luxemburg. Warum das so ist, konnte ich leider nicht herausbekommen. Am meisten bewunderte ich den barocken Garten der Unteren Orangerie, die man der Orangerie von Schloss Versailles nachempfunden hatte. Da die Untere Orangerie nach Süden ausgerichtet ist, dient sie hervorragend der Überwinterung von Topfpflanzen. Auf einer Bank sitzend genoss ich den Ausblick auf den herrlichen Barockgarten.

 

Über viele Treppen hinabsteigend kam ich in das Lahntal, lief auf dem Fahrradweg entlang, bis das „L“-Wanderzeichen durch eine Unterführung der Eisenbahn hindurchführte und es steil den Berg hinaufging, während der Weg dann relativ eben bis nach Freienfels führte. An der Burgruine Freienfels vorbei, hier fanden Baumaßnahmen statt, durch den Ort und weiter über Weinbach, Elkershausen, Langhecke führte mich der Wanderweg bis zum Galgenberg in der Nähe von Villmar. Da es schon dunkelte, übernachtete ich in der dortigen Schutzhütte.

 

 

Der Mittwochmorgen deutete schon an, dass sich das Wetter verschlechtern würde. Ich erreichte bald Villmar, das einstige Marmorzentrum an der Lahn. Marmor aus Villmar findet man unter anderem in der Abtei St. Matthias in Trier, im barocken Marmorbad des Weilburger Schlosses, aber auch in der Eremitage in St. Petersburg, am Empire State Building und im Palast des Maharadja von Tagore in Indien.

Ich berührte den südlichen Teil des Marktfleckens und marschierte oberhalb der Lahn bis nach Runkel. Bevor ich in Runkel einlief, besuchte ich noch den kleinen Kriegsgräberfriedhof, auf dem insgesamt 250 Kriegstote des Ersten und Zweiten Weltkrieges bestattet sind. Beherrschendes Bauwerk in Runkel ist die Burg, die aus einer Ober- und Unterburg besteht. Einen schönen Blick auf die Burg hat man von der alten Lahnbrücke aus. Ich machte mich wieder auf den Weg, wanderte an der Blücherschanze vorbei Richtung Eschhofen, von wo man zwischenzeitlich einen wunderbare Aussicht auf die romanische Lubentiusbasilika von Dietkirchen, der Mutterkirche für den gesamten Lahngau, genießt. Der Sage nach soll nach dem Tod des Heiligen Lubentius an der Mosel sein Leichnam durch wunderbare Weise ein Signal für den Bau einer Kirche an dieser Stelle gegeben haben.

 

Der am Morgen befürchtete Regen setzte jetzt immer mehr ein, die Sonne war nicht mehr zu sehen, ganz zu schweigen von einem blauen Himmel. So lief ich mit Regenschirm in Limburg ein und begab mich sofort zum Dom, einem der grandiosesten Werke der spätromanischen Baukunst.

 

Eine Radlergruppe aus Österreich war gerade dabei auf dem Domplatz, sich für die Weiterfahrt auf dem Lahnradweg zu wappnen. Regenjacke- und hose, sowie Gamaschen wurden herausgepackt, aber auch Regenhüllen über die Packtaschen gestülpt, um dem Regen zu trotzen.

Der Dom, St. Georg und Nikolaus von Myra geweiht, beeindruckt jeden Touristen wegen seiner Lage auf einem Felsen über der Lahn und den sieben Türmen, die scheinbar zum Himmel emporwachsen wollen. Die Sieben, eine heilige Zahl, weist auf die Sakramente hin. Durch das farbige Hauptportal gelangte ich in das Innere des Doms. Hier ist ein Taufstein von 1235 sowie das Grabmal des Gaugrafen Konrad Kurzbold, dem Erbauer der Vorgängerkirche zu sehen. An den Wänden hat man bei der Renovierung Teile des einst vollständig mit mittelalterlichen Fresken ausgemalten Innenraumes freigelegt. Danach begab ich mich in die mittelalterliche Altstadt, die komplett unter Denkmalschutz steht. Als eine Besonderheit der Limburger Fachwerkhäuser sind die hochmittelalterlichen Hallenhäuser anzusehen. Diese Häuser besitzen, wie es der Name schon verrät, im Erdgeschoss eine große Halle.

 

Beim Schlendern durch die Altstadt liefen plötzlich drei Damen vor mir her, eine ältere etwas korpulentere, die von zwei jüngeren, schlankeren flankiert wurde. Ohne es zu wollen bekam ich ihr Gespräch mit. Die ältere Dame erzählte gerade, dass gestern Abend, als sie heimkam, ihr Mann ein Essen zubereitet hatte. Er forderte sie auf, mitzuessen. Daraufhin lehnte sie ab, weil sie schon auf der Arbeit genug gegessen habe. Mit sichtlicher Entrüstung stellte sie die Frage an ihre Begleiterinnen, was denn ihr Ehegatte sich nun erdreiste, ihr zu sagen. Den gespannt lauschenden Begleiterinnen fiel nichts ein, so dass die betagtere Dame die Stimme ihres Mannes nachäffte und dessen Satz: „Aber Schatzi, Essen ist doch die Erotik des Alters!“ zum Besten gab. Prustend vor Lachen bogen sie in die nächste Gasse ein. Auch ich musste darüber lachen.

Bald war mein Rundgang durch die mittelalterlichen Gassen Limburgs beendet und ich begab mich wieder auf den Weg, um über Oranienstein nach Diez zu gelangen. Eine Besichtigung des Barockschlosses Oranienstein war zeitlich nicht mehr möglich, so dass ich direkt nach Diez, das schon zum Bundesland Rheinland-Pfalz gehört, einlief. Vorbei am Grafenschloss, indem eine Jugendherberge und das Regionalmuseum untergebracht sind, begab ich mich hinab in die kleine Altstadt. Da es wieder heftiger zu regnen anfing, entschloss ich mich, eine Speisegaststätte zu suchen und hatte danach das große Glück, dass tatsächlich mit dem Bezahlen der Rechnung der Regen aufhörte und sogar die Sonne wieder zum Vorschein kam. Vom Marktplatz marschierte ich den Geisberg hoch und fand bald eine Bleibe kurz vor Fachingen.

Der Lahnhöhenweg führte mich am nächsten Tag über Fachingen, bekannt wegen seines Mineralbrunnens „Staatlich Fachinger“, nach Balduinstein. Ein Stück läuft man an der Lahn entlang, bevor die Eisenbahn unterquert wird und es in den Ort hineingeht. Historikern gibt der achteckige Turm, der nicht weit vom Lahnufer entfernt steht, ein Rätsel auf. Die einen meinen, dass er zur Sicherung der Furt dient, andere behaupten, dass der Turm schon vor dem Jahre 1300 von den Templern errichtet wurde und dem Schutz der Templerstraßen dienten. Bemerkenswert ist, dass für die Benutzung dieser kein Wegezoll entrichtet wurden musste. So wandte sich der Erzbischof von Mainz mit der Bitte in einem Schreiben vom 27.09.1309 an den Erzbischof von Bremen, von einer Untersuchung gegen die Templer abzusehen. Er begründet dies damit, dass dadurch ihm größere Kosten für die Gewährleistung der Sicherheit der Handelsstraßen entstehen würden, die er allerdings nicht bezahlen könne. Wie bekannt, wurden die Templer der Ketzerei bezichtigt, um deren Macht einzuschränken, aber auch um ihr Eigentum zu konfiszieren. In einem Dokument, das offensichtlich nicht der systematischen Vernichtung aller Beweismittel im Zusammenhang mit der Zerschlagung des Templerordens zum Opfer fiel, welches die Historikerin Dr. Barbara Frale im Geheimarchiv des Vatikans fand, spricht Papst Clemens V. von der Unschuld des Großmeisters der Templer und anderer hoher Würdenträger.

 

 

Vorbei an Kirche und der wieder aufgebauten Burgruine, einer ehemaligen Trutzburg des Kurfürsten von Trier, kommt man bald zur Schaumburg. Ihre Ursprünge gehen auf das Jahr 1197 zurück. Sie wurde 1850 im Stil der englischen Neugotik von Erzherzog Stephan, dem letzten Stellvertreter der Habsburger in Ungarn, umgebaut. Im ständigen Bergauf und Bergab marschierte ich in Richtung Naturschutzgebiet Höllental.

 

Zuvor kam zu einer Weidekoppel mit Rindern, deren Aussehen sich erheblich von dem der Einheimischen unterschied. Eine Informationstafel weist den Wanderer daraufhin, dass hier sich hier eine Nutztier-Arche befindet, deren Aufgabe es ist, vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen weiter zu züchten. In diesem Fall handelte es sich um das Ungarische Steppenrind, das zu den Podolischen Rindern gehört. Weiter heißt es, dass täglich Nutztierrassen aussterben und damit als genetische Reserve und Kulturdenkmal verloren gehen.

 

Bald erreichte ich nun den Aussichtspunkt des 1981 eingerichteten und 71,5 ha großen Naturschutzgebietes „Gabelstein-Hölloch“. Die exponierte Lage und das sich schnell erwärmende vulkanische Gestein bewirken ein spezielles Mikroklima, das den Lebensraum für eine besondere Pflanzen- und Tierwelt zur Folge hat. So findet man an Tieren den Feuersalamander, Schwarzmilan, Wespenbussard, Eisvogel, Gebirgsstelze, Schlingnatter und die Wildkatze. Aber auch der lange nicht mehr gesehene Wanderfalke ist hier wieder heimisch geworden. Vom Aussichtstempel auf dem Gabelstein ergibt sich ein wunderbarer Blick in das Lahntal.

 

An der Klosterruine Brunnenburg vorbei marschierte ich gegen Abend in die Winzergemeinde Obernhof ein. Die Brunnenburg wurde um 1200 von der Grafentochter Gisela von Katzenelnbogen, einer Nichte des Grafen von Arnstein, gegründet und 1542 aufgelöst. Die in dem Bereich der Lahn vorhandenen Stollen und der im Kloster Brunnenburg vorhandene Keller mit einem eingefallenen Tunneleingang, in welchem auch Kindergebeine gefunden wurden, haben sicherlich in der Nachwelt dazu beigetragen, dass bis heute die Spekulation über einen unterirdischen Verbindungsgang zwischen den beiden Klöstern besteht.

Ich nutzte gleich die Gelegenheit, in die erste Heckenwirtschaft einzukehren, die auf dem Weg zum Kloster Arnstein lag. Eine große Winzerplatte, ein Mineralwasser und ein feuriger Rotwein ließen die Strapazen des Tages vergessen.

 

Von Obernhof lief ich jetzt nicht in das Jammertal, sehr zum Unmut eines zechenden und wanderbegeisterten, älteren Stammgastes in der Heckenwirtschaft, der versuchte mir die landschaftliche Schönheit des Tales anzupreisen, sondern ich folgte dem Wanderzeichen des Europäischen Fernwanderweges Nr. 1. Meine Begründung am Samstagvormittag in Lahnstein zu sein, um eine gute Bahnverbindung nach Hause zu bekommen, überzeugte ihn keineswegs.

 

Am 1139 gegründeten Kloster Arnstein vorbei führte mich mein Weg noch bis zum Endpunkt des heutigen Tages, der Schleuse Hollerich. Im Dreißigjährigen Krieg erlebte das Kloster Arnstein große Plünderungen, es überlebten nur vier Ordensleute. Das Kloster erholte sich wieder und wurde 1755 unter Abt Matzenbach zum Teil barockisiert, erhielt einen Rokoko-Kanzel und Teile des Klosters wurden wieder neu errichtet. Im Zuge der Säkularisation wurde das Kloster 1802 aufgelöst und die Ordensleute mussten das Kloster verlassen. Dank des Einsatzes der Einwohner von Seelbach wurde die Kirche 1813 vor dem Abbruch bewahrt. Im Laufe der Zeit wurden mehrere Klostergebäude abgerissen, andere verfielen. Die übrigen Gebäude zweckentfremdete man und dienten zum Teil als Fabrik, später als Wohnung des Försters und Pfarrers. Erst 1919 kam auf Initiative des Limburger Bischofs Augustinus Kilian, die in Frankreich gegründete Ordensgemeinschaft von den Heiligsten Herzens Jesus und Mariens, in Deutschland auch als „Arnsteiner Patres“ bekannt, in das herunterge-kommene Kloster und leisteten bis heute Aufbauarbeit.

 

Nicht weit von Bergnassau entfernt findet man an der Lahn ein kleines Naturschutz-gebiet, das besonders dem Fortbestand der Würfelnatter dienen soll. In Rheinland-Pfalz kommt sie nur noch an drei Stellen vor. Sie ist eine harmlose und ungiftige Schlange, die sich vor allem von kleinen Fischen ernährt, weshalb man die Uferzone nicht betreten sollte.

 

Von Bergnassau führte mich der Lahnhöhenweg bergab über die Lahnbrücke nach Nassau hinein. Die Nassauer Grafen waren sehr emsig, was dadurch zum Ausdruck kam, dass Herrscher und Heerführer aus ihnen hervorgingen. So war Wilhelm III. von Nassau-Oranien König von England. Aber auch die Königin der Niederlande und der Großherzog von Luxemburg sind Nachfahren der Nassauischen Burggrafen.

 

Ein weiteres bekanntes Adelsgeschlecht waren die zu Reichsrittern ernannten Freiherren vom und zum Stein. Der bekannteste Spross war sicherlich der Freiherr Carl vom und zum Stein, der die Grundlagen der Bauernbefreiung und der Städteordnung schuf. Das fachwerkgeschmückte Rathaus in Nassau, der frühere Adelsheimer Hof, wurde von einer Nebenlinie derer von Stein gebaut. Nach dem Kauf von Brötchen und Wurst lief ich wieder über die Lahnbrücke zurück. Über den Burgberg, ins Mühlbachtal, zum Hof Mauch, danach durch Wald am Hof Neuborn vorbei, wobei man hier auf den Limeswanderweg trifft, geht es über das Cafe Wintersberg mit seinem rekonstruierten Limeswachturm hinunter nach Bad Ems, das sich aus einem römischen Kastell entwickelte.

 

Die Sonne schien und die Kurgäste saßen in den Straßencafes oder flanierten auf der Kurpromenade. Geschichtliche Bedeutung erlangte Bad Ems vor allem durch die vielzitierte Emser Depesche, in der Reichskanzler Bismarck durch eine „geschickte“ Manipulation des französischen Memorandums, den Krieg mit Frankreich auslöste. In dieser sollte das Haus Hohenzollern für immer auf eine Kandidatur für den spanischen Thron verzichten. Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 führte anschließend zur Gründung des Deutschen Reiches.

 

Es gibt in Bad Ems viele gefasste Quellen, ihre Wassertemperaturen schwanken zwischen 20 ° C und 57° C. Die bekannteste Quelle ist das „Emser Kränchen“, deren Wasser für die Herstellung der Emser Pastillen genutzt wird. Das fluoridhaltige Heilwasser wird vor allem für Trink- und Badekuren verwendet.

 

Bad Ems war das Modebad der umliegenden adligen Herrschaftshäuser. Sie bauten sich z. T. ihre eigenen Badehäuser. Die berühmtesten Kurgäste, in der Glanzzeit des Emser Bades im 19. Jahrhundert, waren sicherlich Kaiser Wilhelm I. und Zar Alexander II.

 

An der russisch-orthodoxen Kirche vorbei Richtung Bahnhof Ems West, nach Nievern und anschließend durch das klammartige Schweizer Tal führte meine Wanderung. Hinweistafeln geben Auskunft über die Lage und den Namen der Mühlen, die sich früher in diesem Tal befanden. Bei der meiner Meinung nach großen Anzahl von Mühlen in diesem kleinen Tal, fragte ich mich unweigerlich, wie man die Preise damals für das Mahlen des Korns festsetzte oder ob es früher schon eine Preisabsprache, ein Kartell unter den Müllern, gab. Denn je weiter man das Tal nach oben kam, desto schwieriger war es sicherlich sein Getreide auf dem schmalen Pfad nach oben oder nach unten zur Mühle zu bringen. Wie konnten letztendlich die Mühlenbesitzer überleben?

 

Kurz vor Frücht traf ich auf den Steinweg, einen Wanderweg mit vielen Informations-tafeln zu dem Wirken des Freiherrn Friedrich Carl von und zu Stein, der hier in Frücht in der Familiengruft bestattet ist. An Friedrichssegen mit seinen zahlreichen Abraumhalden vorbei, die von den ehemaligen Blei- und Silbergruben herrührten, lief ich noch bis in die unmittelbare Nähe des Biebricherhofes. Dort schlug ich mein Biwak im Wald auf.

 

Frühzeitig marschierte ich morgens los, um über den Parkplatz „Spießborn“, den Gebäudekomplexen der „Kurtherme Rhein-Lahn“ nach Lahnstein zu kommen. Vor Lahnstein kommt man noch an der renovierten Josefskapelle vorbei.

„Die Josefskapelle wurde bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der heutigen Nordallee in Lahnstein erbaut. Im Jahre 1889 musste sie der sich ausbreitenden Stadt weichen, wurde aber im gleichen Jahr hier auf dem Berg an anderer Stelle wieder aufgebaut. Wegen der Errichtung einer Großscheune war die Kapelle wieder im Weg, bekam dann aber ihren jetzigen endgültigen Platz. Mit der Zeit bereiteten sich auf dem Burgplateau die Landwirtschaft und der Obstanbau mehr und mehr aus.

 

Hier sei von einer Gegebenheit aus jenen Tagen berichtet: Während die Bauern auf ihren Feldern arbeiteten, kam es zu einem plötzlichen Wetterumschwung. Es zog ein mächtiges Gewitter auf und eine auf dem Feld tätige Familie flüchtete schutzsuchend in die nahegelegene Scheune. Das Unwetter entwickelte sich immer stärker, und die Bauernfamilie bekam es mit der Angst zu tun. Die anwesende Großmuter ergriff die Initiative und sprach zur Familie: „Hier sollten wir nicht länger bleiben, lasst uns in die Kapelle gehen.“ Gesagt, getan. Als alle in der Josefskapelle waren, schlug ein Blitz in die Scheune, und sie brannte vollständig aus. Die neugotische Kapelle, erbaut in Backsteinwerk, war seither den Lahnsteiner Bauern auch Zufluchtsort bei Unwettern.“

Bald erreichte ich die Burg Lahneck. Von der Terrasse des Burgcafes genießt man eine herrliche Aussicht in das Rheintal. Nach weiteren 20 Minuten kam ich in das Zentrum Lahnsteins und marschierte auf regionalen Wanderwegen bzw. auf dem Radweg weiter bis zum Bahnhof in Koblenz. Zum Glück musste ich nicht lange auf einen Zug warten, der mich nach Hause brachte.