Deutschlanddurchquerung von Ost nach West – von Görlitz nach Schengen
Etappe 4: Wanfried (Werra) - Marburg (Lahn)
von Berthold Kutschera
Von der Bushaltestelle weg marschierte ich weiter zum Hafen, überquerte die Werrabrücke, lief geradeaus in den Wald hinein und immer stetig den Hang bergauf. Gegen 14.45 erreichte ich den Aussichtspunkt Auerblick und um 17.30 einen weiteren Aussichtspunkt, den 466 m hohen Lotzenkopf von dem man ebenfalls einen schönen Ausblick in das Werratal hat. Über Hoheneiche und Oetmannshausen erreichte ich abends nach einem langen Wandertag mein Tagesziel Bischhausen.
Frühzeitig wanderte ich am nächsten Tag von Bischhausen über den Mäuseberg in das im Tal der Wehre und Schemmer gelegene Städtchen Waldkappel hinein. Weiter ging es auf dem Barbarossaweg über den Ziegenküppel und den Hornungsberg bis zum Naturdenkmal Große Steine. Da der „ars natura“-Weg identisch mit dem Barbarossaweg ist, sah man in gewissen Abständen viele Kunstwerke von einheimischen Künstlern, wie zum Beispiel den Strahlenmann. Von dort führte mich anschließend der Bartenwetzerweg durch die kleinen Ortschaften Weidelbach und Dinkelberg bis nach Spangenberg, dem Bevölkerungsmittelpunkt Deutschlands, hinein. Von weitem grüßt schon das 1235 auf einem Bergkegel erbaute Schloss. Erstaunenswert ist die Tatsache, dass das in den letzten Kriegsmonaten des II. Weltkrieges zerstörte Schloss durch den Einsatz und die Tatkraft der Spangenberger Bürger wieder aufgebaut wurde. Heute beherbergt es ein Jagdmuseum und eine gehobene Gastronomie.
Ich besichtigte ausgiebig die über 500 Jahre alten Fachwerkhäuser des mittelalterlichen Städtchens. Hervorzuheben ist der Marktplatz, der durch seine intakte bauliche Geschlossenheit hervorsticht. Auf dem Riedforstweg marschierte ich über Bergheim weiter nach Morschen. Bekanntestes Bauwerk Morschens ist das ehemalige Zisterzienserinnenkloster, das später nach Einführung der Reformation in Hessen als Jagdschloss genutzt wurde. Ein hartes Leben mussten die Zisterzienserinnen erdulden, wenn man bedenkt, dass das Essen, zudem fleischlos, auf den Unterteller unserer heutigen Kaffeetassen passte. Da das Essen in den Fastenzeiten nochmals reduziert wurde, gab es sicherlich, wenn man an unsere Wohlstandsgesellschaft denkt, kaum Übergewichtige. Die Lebenserwartung der Menschen in der damaligen Epoche lag allerdings nur bei ungefähr 30 Jahren.
Der Riedforstweg führte mich weiter nach Niederbeisheim. Von dort lief ich dann über Oberbeisheim und Welferode nach Homberg an der Efze, das seinen Namen durch die Ritter von Hohenburg erhielt.
Auf Grund des geschlossenen Fachwerkstadtbildes am historischen Marktplatz bezeichnet man Homberg auch als Fachwerkkleinod in Kurhessen. Über dem Marktplatz thront die gotische Hallenkirche St. Marien. In ihr fand 1526, die von Landgraf Philipp dem Großmütigen einberufene Synode statt, die die Reformation in Hessen ebnete.
Ihm zu Ehren befindet sich ein Bronzestandbild auf dem Marktplatz. Ich verließ den Stadtkern, ging um den Schlossberg herum, um bald auf dem Wanderzeichen des Brüder-Grimm-Weges weiterzumarschieren. Der Weg führte mich über Falkenberg in den Wald hinein, an einem großen Basaltsteinbruch vorbei bis Rhünda, meinem Etappenziel.
Am nächsten Morgen war es zwar wieder kühl, zudem blies ein frischer Wind, dennoch schien aber auch die Sonne, was ideal für das Wandern war. Von Rhünda aus sieht man die mittelalterliche Ruine der Altenburg. Kurze Zeit später erreichte ich die Dreiburgenstadt Felsenberg. Von weitem erblickt man auf dem Basaltkegel den markanten Turm der Felsburg, der im Volksmund auch als „Butterfass“ bezeichnet wird. Durch den Bau der Burg kontrollierte man eine alte Handelsstraße, den Sälzerweg, der von Thüringen, dort erfolgte die Salzgewinnung, bis ins Rheinland führte.
Bald verließ ich den mittelalterlichen Stadtkern und wanderte auf dem Sälzerweg, der identisch mit dem Barbarossaweg ist, westwärts, zum größten Teil über die freie Flur, bis in die Bonifatiusstadt Fritzlar, die oberhalb der Eder thront. Majestätisch erheben sich über den Dächern der Altstadt die Türme der romanisch-gotischen Stiftskirche St. Peter, auch als Dom bezeichnet, dem bekanntesten Bauwerk Fritzlars. Der Name der Stadt leitet sich von „Friedeslar“, was soviel wie Ort des Friedens bedeutet, ab. Der Überlieferung nach steht der Dom an jener Stelle, an welcher Bonifatius 724 n. Chr. aus dem Holz der gefällten Donareiche eine erste christliche Kapelle errichten ließ. Durch das Fällen der Donareiche, einem germanischen Heiligtum, demonstrierte Bonifatius die Überlegenheit des christlichen Gottes. Diese einmalige Show, um in unserem heutigen Sprachgebrauch zu bleiben, war der Beginn der Christianisierung in Mittel- und Norddeutschland. Die gute Stube Fritzlars ist der Marktplatz mit den ihm umgebenden Fachwerkhäusern aus mehreren Jahrhunderten. Eines der ältesten Fachwerkhäuser der Stadt ist das Gildehaus der Michaelsbruderschaft, einer Großhändlergilde. In dieser Gilde organisierten sich die Fritzlarer Kaufleute gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Damit ist sie älter als die Hanse. Die warmen Strahlen der Märzsonne ließen viele Einheimische und Gäste dazu verleiten, sich einen Kaffee oder Capuccino im Freien zu genehmigen. Erwähnenswert ist auch das Rathaus, das als das älteste urkundlich erwähnte Amtshaus Deutschlands gilt.
Nach ausgiebiger Besichtigung der sehenswerten Stadt schlenderte ich hinter dem Dom die mittelalterlichen Gassen hinunter zur alten Hospitalsbrücke und genehmigte mir dort im Malerwinkel eine ergiebige Jause, um für den Weitermarsch gewappnet zu sein.
Von diesem sogenannten Malerwinkel aus, wie auf einer Hinweistafel erklärt wurde, „fertigten im 19. und 20. Jahrhundert zahlreiche Maler ihre Bilder des idyllischen Fritzlars. Die Künstler wurden an dieser Stelle in besonderer Weise von der landschaftlichen und städtebaulichen Vielfalt inspiriert. Über den gleichmäßig dahinfließenden Mühlengraben, gesäumt von Buschwerk und Bäumen, überspannt von der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Hospitalsbrücke, steigt der Blick hinauf zum Winterturm und zu den Häusern der Neustadt. Bekrönt wird die Ansicht vom St. Petri-Dom mit seinen charakteristischen schlanken Türmen, den angrenzenden Stiftsgebäuden und den zahlreichen Fachwerkhäusern der Fritzlarer Bürger.“
Am Mühlgraben entlang, weiter über die Eder, marschierte ich danach den Büraberg hinauf. Bonifatius wählte die Büraburg, dank ihrer strategischen Lage, als seine Basis aus und erhob sie zum ersten Bistum östlich des Limes, um von dort die Christianisierung voranzutreiben. Der erste und einzige Bischof des neuen Bistums war Witta. Nach seinem Tod wurde das Bistum nicht mehr neu besetzt, sondern dem Erzbistum Mainz einverleibt. Auf dem Bonifatiusweg marschierte ich bis nach Kleinenglis, überquerte das Flüsschen Schwalm und beendete den Wandertag in Trockenerfurth in der Nähe des Borkener Sees. Namensgeber für den See ist die Stadt Borken, wo sich einst das wichtigste Braunkohlebergwerk Nordhessens befand. Gegen Abend blitzte, donnerte und regnete es.
Morgens lief ich auf dem Radweg weiter nach Zimmersrode und Neuental. Von dort geleitete mich der Landsburgpfad über Allendorf nach Schwalmstadt.
Am Ortseingang Allendorfs hat ein pfiffiger Zeitgenosse die Allendorfer Wetterstation mit den üblichen Sprüchen, die wie folgt heißen, aufgestellt.
Allendorfer Wetterstation
Wenn man den Stein nicht sieht, ist starker Nebel.
Wenn der Stein Schatten wirft, scheint die Sonne.
Wenn der Stein nass ist, regnet es.
Wenn der Stein sich hin und her bewegt, stürmt es.
Wenn der Stein rauf und runter geht, ist ein Erdbeben.
Wenn der Stein nach oben zeigt, geht die Welt unter.
Wenn der Stein weg ist, ist er geklaut.
Um 13 Uhr marschierte ich in den Stadtteil Treysa, des am Rande des Knüllgebirges gelegenen Schwalmstadts, ein. Die imposantesten Gebäude Treysas sind der Hexenturm, das historische Rathaus sowie die Ruine der Totenkirche. Die Totenkirche in Treysa ist der letzte mehrschiffige Kirchenbau, der in Nordhessen als Basilika errichtet wurde. Die Totenkirche dokumentiert im nordhessischen Kirchenbau den Übergang von der Romanik zur Gotik. Das Johannismännchen, die Brunnenfigur des Marktbrunnens symbolisiert die Marktgerechtigkeit aus dem Jahre 1683. In Schwalmstadt wird auch die Tradition hochgehalten. Dies wird besonders bei Festen deutlich, bei denen die Bewohner die alten Schwälmer Trachten noch tragen.
Von Schwalmstadt ab blieb ich weiterhin auf dem Landsburgpfad, der in Richtung zum Heidelberg führt. Dort weist eine Informationstafel auf die bronzezeitlichen Hügelgräber in der Gemarkung Heidelberg hin. Das vordere der beiden Hügelgräber wurde 1934 geöffnet und zählt nach dem Befund zu den schönsten seiner Art in Nordhessen. Bald erreichte ich Neustadt in Hessen. Neben dem Fachwerkrathaus beeindruckte mich vor allem der Junker-Hansen-Turm, das Wahrzeichen von Neustadt. Er wurde nach dem hessischen Hofmeister Junker Hans von Dörnberg benannt, der um 1480 diesen Turm als Teil der Stadtbefestigung durch den landgräflichen Baumeister Hans Jakob von Ettlingen errichten ließ. Mit einer Gesamthöhe von über 50 m und einem Durchmesser von rund 13 m ist der Junker-Hansen-Turm der größte Fachwerkrundbau Europas und damit gleichzeitig ein Zeichen alter großer Handwerkskunst. Die zwei unteren Geschosse des Turmes sind aus Sandsteinquadern, darüber erheben sich die Fachwerkstockwerke. Am Bahnhof vorbei, die Unterführung hindurch verließ ich Neustadt Richtung Weizenberg und ließ den Tag in Willingshausen ausklingen.
Merzhausen, Holzburg, Heidelbach und Münch-Leusel waren die weiteren Stationen des nächsten Tages, ehe ich gegen 13 Uhr in Alsfeld, dem am Rande des Vogelsberges gelegenen Städtchens einmarschierte und meine Vorräte im Tegut wieder auffüllte. Im Jahre 1975 wurde Alsfeld zur europäischen Modellstadt erklärt, was ihr den Vorteil erbrachte, dass viele der 400 Fachwerkhäuser aus sieben Jahrhunderten restauriert wurden. Im Zentrum Alsfelds befindet sich das historische Rathaus, das von 1512 bis 1516 errichtet wurde. Der steinerne Unterbau wurde früher als Markthalle benutzt. An der Ecke des Weinhauses, neben dem Rathaus gelegen, befindet sich der Pranger, an dem im Mittelalter den Verurteilten ein verschließbarer Eisenring um den Hals gelegt wurde, sodass sie dem Spott oder physischer Gemeinheiten durch ihre Mitbewohner ausgesetzt waren. Bedeutendste Kirche Alsfelds ist die Walpurgiskirche.
Ein sehenswerter Bau ist das barocke Minigerodehaus, das 1687 als Patrizierhaus erbaut wurde. Der Erker sticht durch seine hervorragenden Steinmetzarbeiten und dem Doppelwappen derer von Minigerode und Oeyenhausen hervor. Heute dient das Minigerodehaus als Museum. Daneben befindet sich das Neurath-Haus, ein mächtiges viergeschossiges Patrizierhaus mit sehenswertem Fachwerkschmuck. Die reich verzierte Renaissancehaustür sticht besonders hervor.
Nach einer Stärkung verließ ich Alsfeld Richtung Bahnhof, steuerte den Antriftsee an und lief von dort noch nach Kirtorf, das ich am Gründonnerstagabends um 19 Uhr erreichte. Kirtorf wurde erstmals 917 erwähnt und besitzt seit 1489 das Stadtrecht. Erwähnenswert ist das schmucke alte Fachwerkrathaus von 1791. Es symbolisiert die historische Bedeutung von Kirtorf als gerichtlicher und kirchlicher Mittelpunkt für die umliegenden Ortschaften. Bei ausgezeichneten Lendchen mit Kroketten auf Frühlingsgemüse stärkte ich mich schon einmal in einer Gaststätte für den morgigen Weitermarsch.
Im Tal der Gleene wanderte ich über Lehrbach, am restaurierten Schmitthof, einer ehemaligen Wasserburg, vorbei nach Niederklein und von dort auf dem Schwälmerweg nach Amöneburg.
Der Basaltkegel, ein erloschener Vulkan, auf dem sich die Häuser der Stadt Amöneburg um die gleichnamige Burg, wie die Küken um die Henne scharen, ist schon von weitem zu sehen. Bald nach Niederklein ging es ungefähr zwei Kilometer durch ein kleines Waldstück, indem die Frühjahrsstürme, wie häufig in den Wanderabschnitten der vergangen Tagen zu sehen war, die Fichten entwurzeln ließen und ein Umgehen der Windwürfe bzw. ein Überklettern der entwurzelten Stämme notwendig machten. Über die Brücke an der „Brücker-Mühle“ gelangt man in die Außenbezirke der kleinen Stadt. Im Hof des „Brücker Wirtshauses“ befindet sich der Friedensstein, ein Obelisk aus der Barockzeit. Er soll an den zwischen Frankreich und Preußen, nach der verlustreichen Schlacht um diese Brücke, geschlossenen Friedensvertrag erinnern. Ich kam dann doch ganz schön ins Schwitzen als ich den Höhenunterschied von 167 m von der „Brücker Mühle“ an der Ohm bis zur Bergspitze überwand. Auf einer Informationstafel heißt es, dass vor etwa 40-50 Millionen Jahren vulkanische Kräfte und Vorgänge in verschiedenen Phasen das Basaltmassiv der Amöneburg schufen. Durch Abkühlung und Zusammenziehung entstand allmählich die typische Form des Säulenbasalts. So sind an der steilen Ostwand des Berges meterlange Basaltsäulen zu finden. Schon 721 nutzte Bonifatius die fränkische Amöneburg als Ausgangsort für die Christianisierung der umliegenden Bevölkerung.
Dank der kalorienreichen Tiramisutorte in einem Kaffee am Amöneburger Marktplatz fiel es mir nicht sehr schwer, über Klein- und Großseelheim noch bis abends in die Universitätsstadt Marburg zu gelangen, wo ich glücklicherweise sofort in einen Zug steigen konnte, um die Heimreise anzutreten. So fiel die Besichtigung Marburgs aus, die ich jedoch in einigen Wochen bei der Fortsetzung dieser Fernwanderung nachholen werde.